Zwei Chöre stehen blendend da - Am Samstag feiert der Würzburger Sängerverein Geburtstag mit einem großen Konzert
Liederkranz und Männergesangsverein, einst ein Stück Identität in Dorf oder Stadtteil, dämmern Ihrem Ende entgegen. Anders als im 19. Jahrhundert, dem Gründungsjahr vieler Vereine, ist der Mensch nicht mehr auf seine unmittelbare Umgebung angewiesen, um soziale Kontakte zu pflegen, Ein Verein, der Leute locken will, muss interessant sein. Aber in vielen Chören sind Sangesbrüder und Sangesschwestern alt geworden, ihr Liedgut und ihre Bräuche mit ihnen. Sie hätten schon gerne junge Leute dabei, aber nur, wenn die sich fügen in das, was schon immer so war. Einige Chöre sind verschwunden, andere werden folgen.
Am Samstag, 12. Mai, feiert der Würzburger Sängerverein Geburtstag, im Congress Centrum, mit einem großen Konzert 160 Jahre ist er alt, der älteste unter den Gesangsvereinen in der Stadt, einer der ältesten im Fränkischen Sängerbund, im vorrevolutionären Jahr 1847 gegründet vom Stadtkämmerer Valentin Eduard Becker (1814 bis 1890). Der Verein hat Tradition, aber er lässt sich von ihr nicht unterkriegen. Beim Sängerverein gibt es keine Ehrennadeln mehr und keine Geburtstagsständchen. Das schadet nicht, im Gegenteil. Die zwei Chöre des Vereins, Oratorienchor und Valentin-Becker-Chor, stehen blendend da.
Der 100-stimmige gemischte Oratorienchor ist das musikalische Aushängeschild des Vereins. Die Sängerinnen und Sänger müssen vom Blatt singen können, die Werke sind anspruchsvoll, das Probentempo ist, hoch, die Erwartungen auch. Wer mitsingen will, muss gut sein und Einsatz bringen. Unter www.oratorienchor-wuerzburg.de erfährt der Sangeslustige, was Matthias Göttemann, der Chorleiter, wünscht: „Wir haben gute Erfahrungen damit gemacht, dass Leute, die in Proben fehlen, das Versäumte zu Hause nachholen. Unsere kleine Richtlinie heißt: Wer zweimal fehlt, muss vorsingen. So kommen wir solidarisch zügig in unserer Probenarbeit voran.“
Der Chor arbeitet projektbezogen, Die Mitglieder entscheiden von Fall zu Fall, bei welchem Werk sie dabei sein wollen. Am Samstag, im CCW, führt er gemeinsam mit der Thüringen Philharmonie Carl Orffs „Carmina Burana“ auf.
Etwas gemütlich geht's beim Valentin-Becker-Chor (www.valentin-becker-chor.de) zu, aber durchaus auch anspruchsvoll. Dieser Chor ist ein Beispiel dafür, dass nicht der Chorgesang selbst unattraktiv geworden ist, sondern die Art und Weise, wie er von den Chören gepflegt wird, die am Überkommenen hängen bleiben. Etwa 80 Mitglieder hat er, 40 davon sind in den vergangenen zwei Jahren dazugekommen.
Die Stimme entwickeln
Hier muss niemand daheim üben und vom Blatt singen können, aber die Töne treffen sollte er schon. Sebastian Glas, der Dirigent, beschreibt seinen Chor als gerade recht für Leute, die bereits vorhandene Stimme und Sangesfertigkeit weiter entwickeln wollen.
Niemand ist länger dabei als Beate Kreppel; sie ist 1958 eingetreten. Sie berichtet, wie der Chor zu seinem Aufschwung gekommen ist. „Man muss ein bisschen vom Ballast der alten Männerchöre abschaffen.“ Ehrennadeln und Geburtstagsständchen gibt’s nicht mehr; aber mit Glas einen 27 Jahre jungen, sehr lebendigen Chorleiter. Der wirbt mit Wurfzetteln um neue Mitglieder: „Sie singen unter der Dusche? Sie möchten Ihre Stimme weiterbilden? Sie suchen neue Kontakte? Sie möchten chorisch singen?“ Und verspricht intensive Stimmbildung und „schwungvolle und zielstrebige Chorarbeit“
Der Altersdurchschnitt des Chores ist in den vergangenen Jahren deutlich gesunken. Heute stammen die Sängerinnen und Sänger aus drei Generationen, und sie kommen gut miteinander aus. Kreppel schwärmt vom jungen Glas und vom Oratorienchor-Chef Göttemann, Jahrgang 69. Die beiden hätten mit ihrer Jugendlichkeit und Dynamik den Würzburger Sängerverein weit vorangebracht.
Beim Oratorienchor wiegen künstlerische Ambitionen weitaus schwerer, als soziale Bedürfnisse. Beim Valentin-Becker-Chor halten sie sich die Waage. Konzerte zu geben ist wichtig, aber das Miteinander von Alt und Jung auch, und das Treffen nach der Chorprobe im „Auflauf“ am Peterplatz. Am Samstag singt der Chor Joseph Haydns Oratorium „Die Jahreszeiten“ im CCW.
Glas sagt, er komme aus dem Staunen nicht mehr heraus, wenn er ins Archiv des Würzburger Sängervereins schaut und merkt, dass er „auf einem Riesensockel von Geschichte steht“. Aber „die Dinge verändern sich viel schneller als früher“. Was der Mensch heute mache, sei „nicht mehr angelegt auf 150 Jahre Bestand“. Für den Würzburger Sängerverein bedeute das: „Es muss nach vorne gehen, aber organisch“. Da sollen die jungen Leute die Freuden des Chorgesangs erleben, ohne sie den alten zu nehmen.
Das Festkonzert zum 160-jährigen Bestehen des Würzburger Sängervereins findet am Samstag, 12, Mai, im CCW statt, Beginn: 19.30 Uhr. Karten gibt’s im Vorverkauf bei der Tourist Information im Falkenhaus für 28, 22 oder 15 Euro (Jeweils um 3 Euro ermäßigt für Studenten und Schüler)
(Mainpost, 11. Mai 2007. Wolfgang Jung)